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Abfall vom Islam nach Koran und Sharia

Hat ein Muslim das Recht, den Islam zu verlassen und sich dem christlichen Glauben zuzuwenden? Ist der Glaube an Gott eine Angelegenheit privater Überzeugungen, oder haben Staat und Behörden darüber zu wachen? In der Beurteilung dieser Frage unterscheiden sich Islam und neutestamentlicher Glaube erheblich voneinander.

In der ‚aufgeklärten’ westlichen Welt mit ihrer Trennung von Kirche und Staat gehört der persönliche Glaube des einzelnen zu den privatesten Dingen überhaupt. Im Islam sind Glaube und Religion grundsätzlich öffentliche Angelegenheiten. Dort, wo der Islam Staatsreligion und tragende Säule der staatlichen Ordnung und Gesellschaft ist, bedeutet Glaubensabfall Erschütterung der muslimischen Gemeinschaft und Lebensordnung. Als loyaler Staatsbürger gilt, wer am Islam festhält. Wer vom Islam abfällt, begeht Staatsverrat.

Abfall vom Islam „im Vollbesitz der geistigen Kräfte“

Unter Apostasie (arab. irtidâd) versteht man die bewiesene, willentliche Abkehr eines als Muslim Geborenen oder später zum Islam Konvertierten vom islamischen Glauben. Abfall bedeutet die Nichtanerkennung Gottes und Muhammads als seines Propheten im Vollbesitz der geistigen Kräfte, ohne Zwang und nicht unter Alkoholeinfluss. Kinder und geistig Behinderte können sich also gar nicht und Frauen nur unter bestimmten Umständen der Apostasie schuldig machen, wobei die Rechtsschulen über die Schuldfähigkeit der Frauen sehr unterschiedliche Aussagen machen.

In der Praxis ist die Auffassung darüber, was Glaubensabfall ist, allerdings nicht ganz so einhellig. Der Koran nennt zwar die Tatsache des Abfalls, definiert ihn aber nicht näher. Die Überlieferung formuliert hier wesentlich schärfer und beurteilt z. B. den, der das tägliche rituelle Pflichtgebet absichtlich vernachlässigt, als Ungläubigen. Wer daher für das Versäumnis des fünfmal täglichen Pflichtgebets keinen Entschuldigungsgrund nennen kann und keine Einsicht und den Wunsch zur Besserung zeigt, gilt nach Meinung der Rechtsschulen der Malikiten, Shâfi’iten und Hanbaliten als Abgefallener. Keine Apostasie, sondern nur Sünde liegt dagegen vor, wenn die fünf Säulen des Islam nicht vorsätzlich vernachlässigt werden.

Der Koran über den Abfall: Zorn und Strafe

Schon der Unglaube (arab. kufr) eines Menschen an sich, der sich Gott nicht unterwirft, gilt im Koran als schwere Sünde. Wer jedoch diesen Glauben kennt, sich dann aber wieder von ihm abgewandt hat, versündigt sich viel schwerwiegender.

Der Koran greift den Abfall vom Glauben an mehreren Stellen auf: „Und wenn sie sich abwenden, dann greift sie und tötet sie, wo immer ihr sie findet, und nehmt euch niemand von ihnen zum Freund oder Helfer!“ (4,89). Dieser Vers wurde als unmittelbare Anweisung zur Behandlung von Apostaten (Abgefallenen) aufgefaßt und die Todesstrafe als eigentliches Strafmaß für Apostasie festgesetzt. Der berühmte, zur Apostasiefrage häufig zitierte Kairoer Theologe Muhammad Abû Zahra (1898-1974) spricht von drei Fällen, in denen über einen Muslim die Todesstrafe verhängt werden darf: bei Apostasie, bei Unzucht nach rechtlich gültiger Eheschließung und bei Mord, der keine Blutrache ist [1].

Sure 16,106 spricht von Gottes „Zorn“ und seiner „gewaltigen Strafe“, die ein Apostat zu erwarten hat. Sure 2,217 warnt eindringlich davor, Muslime zum Glaubensabfall zu verführen, denn dieses Vergehen „wiegt schwerer als Töten“. Sure 3,86–91 bezeichnet als „Lohn“ der Abtrünnigen, dass der Fluch Gottes, der Menschen und der Engel auf ihnen liegt (9,68) und dass es keine Möglichkeit des Freikaufs, der Fürsprache und der Hilfe für die Verfluchten gibt. Gott wird den Abgefallenen unter gar keinen Umständen vergeben (4,137), denn sie sind Ungläubige und Insassen des Höllenfeuers. Dennoch nennt der Koran außer der Strafe im Jenseits kein konkretes Strafmaß für das Diesseits und auch kein Strafverfahren.

Die Überlieferung über den Abfall: Gefängnis und Tod

Dass Abtrünnige mit dem Tod zu bestrafen sind, wurde allerdings nicht in erster Linie aus dem Koran, sondern vor allem aus der islamischen Überlieferung abgeleitet: „Wer seine Religion wechselt, den tötet“ [2], und „Wer sich von euch trennt (oder von euch abfällt), der soll sterben“ [3]. Muhammad soll nach der Überlieferung selbst Abtrünnige vom Islam verstümmelt und getötet haben, weil sie einige seiner Gefolgsleute umgebracht und Kamele der Muslime weggetrieben haben sollen. Darüber hinaus existieren Traditionen, nach denen Muhammad nach der Einnahme seiner Vaterstadt Mekka am Ende seines Lebens zwei Apostaten, die einen Muslim getötet hatten, sowie einen weiteren Apostaten, gegen den nichts Strafbares vorlag, umbrachte [4]. Als sich nach Muhammads Tod unter den arabischen Stämmen der Halbinsel eine Widerstandsbewegung (arab. ridda) formierte – da sich einige Stämme nur an die Person Muhammads gebunden betrachteten, nicht jedoch an seine Nachfolger – wurde diese Widerstandsbewegung auch vor dem Hintergrund dieses Apostasieverständnisses mit militärischen Mitteln entschlossen niedergeschlagen.

Nach den Quellen zu urteilen scheint die Todesstrafe für Abtrünnige nach Muhammads Tod auch vollstreckt worden zu sein [5]. Heute besteht in der sunnitischen und schiitischen Rechtswissenschaft weitgehend Einigkeit darüber, dass Apostasie, Gotteslästerung, die Verspottung des Propheten und der Engel mit dem Tod zu bestrafen seien – was in der Praxis jedoch längst nicht immer zur Ausführung kommt, jedenfalls nicht durch ein Gerichtsverfahren.

Glaubensabfall durch Tun und Denken

Apostasie findet also nicht nur dort statt, wo das Bekenntnis zum Islam geleugnet wird, sondern auch dort, wo in der Praxis z. B. die Erfüllung der Glaubenspflichten verweigert wird. Die Beschädigung eines Koranexemplars oder die Verunglimpfung der 99 schönsten Namen Gottes fallen ebenfalls unter Apostasie [6]. Apostasie ist außerdem bei Zauberei oder der Anbetung von Bildern oder Gegenständen gegeben, denn dies ist Götzendienst. Auch der Glaube an die Seelenwanderung ist Abfall, da damit die Auferstehung geleugnet wird, ja, auch das Betreten einer Kirche kann als Apostasie aufgefaßt werden [7]. Wer Muhammad einen körperlichen Mangel nachsagt oder die Vollkommenheit seines Wissens, seiner Moral oder Tugend leugnet, ist gleichermaßen als Abgefallener zu betrachten [8]. – So zumindest die offizielle Lehrmeinung orthodoxer Rechtsgelehrter, wobei allerdings in der Praxis die Vernachlässigung der fünf Säulen, Bittgebete an Heiligengräbern oder die Zufluchtnahme zu Magie zur Krankenheilung in der islamischen Welt keine Ausnahmen darstellen.

Die drei sunnitischen Rechtsschulen der Shâfi’iten, Malikiten und Hanbaliten halten Frauen wie Männer gleichermaßen für schuldfähig, während die Hanafiten die Todesstrafe nur für männliche Muslime vorsehen. Sie und die Schiiten treten in Analogie zu Sure 24,2 und 4,15 für die Umstimmung der abgefallenen Frau durch Schläge ein (alle drei Tage oder auch täglich) oder fordern Gefängnis [9], bzw. den Verkauf der Abgefallenen in die Sklaverei [10].

Zwar gibt es theoretisch weitgehende Einigkeit über die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe für Apostaten, aber die konkrete Lage für Konvertiten in den einzelnen islamischen Ländern ist trotzdem sehr unterschiedlich. Während sie in einigen Ländern durch ihr christliches Bekenntnis so stark unter Druck geraten, dass sie de facto nicht in ihrem Umfeld verbleiben können, ist dies andernorts durchaus möglich. Immer aber haben Konvertiten mit vielerlei Nöten und Schwierigkeiten zu kämpfen, die sie oft zermürben und entmutigen und manchmal sogar in der Rückkehr zum Islam den scheinbar einzigen Ausweg erkennen lassen. Westliche Christen, die diese Nöte meist nur vom Hörensagen oder aus Büchern kennen, sollten ihre leidenden Brüder und Schwestern vermehrt durch Gebet und Gaben unterstützen, denn „wenn ein Teil des Leibes leidet, so leiden alle anderen mit“ (1. Korinther 12,26).

Autorin dieser Ausgabe: Prof. Dr. Christine Schirrmacher
Stand: Oktober 2007

Literaturhinweise
  • Abul Ala Mawdudi. The Punishment of the Apostate according to Islamic Law. o. O. 1994
  • Rahman, S. A. Punishment of Apostasy in Islam. Institute of Islamic Culture: Lahore, 1972
Anmerkungen

[1] Muhammad Abû Zahra. al-jarîma wa-l-’uqûba fî l-fiqh al-islâmî. al-Qâhira, T. 1 ca. 1955, T. 2 ca. 1965, hier T. 1, S. 172; ebenso Ibrâhîm Ahmad al-Waqfî. tilka hudûd allâh. Qatar 1397/1977, S. 269; zitiert nach: Der Koran. Arabisch-Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar von Adel Theodor Khoury. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn: Gütersloh, 1991. Bd. 2. S. 94

[2] So die Überlieferung eines der wichtigsten Traditionssammler, Buhârî: The Translation of the Meanings of Sahih al-Bukhari, Arabic-English, Vol. 9. Kitab Bhavan: New Delhi, 1997, S. 45

[3] Schacht. Katl. in: Encyclopaedia of Islam, Vol. IV. E. J. Brill: Leiden, 1990, S. 766-772, hier S. 771

[4] Schacht. Katl. a. a. O. S. 771

[5] Der Koran. Arabisch-Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar von Adel Th. Khoury. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh, 1991, Bd. 2. S. 95

[6] So ‘Abd al-Rahmân al-Djazîrî. kitâbu l-fiqh ‘alâ l-madhâbihi l-’arba’a. Kairo 1934/1987/8. Die Strafen für den Abfall vom Islam nach den vier Schulen des islamischen Rechtes. Aus dem Arabischen übersetzt von Ishak Ersen. Licht des Lebens: Villach, 1991, S. 11-12

[7] So ‘Abd al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen. a. a. O. S. 12

[8] ‘Abd al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen. a. a. O. S. 13-14

[9] Der Koran. Arabisch-Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar von Adel Theodor Khoury. a. a. O. Bd. 2. S. 96

[10] Schacht. Katl. in: Encyclopaedia of Islam, Vol. IV. E. J. Brill: Leiden, 1990, S. 766-772, hier S. 771