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Christen und Muslime leben zusammen

Einige Leitgedanken

Im Orient leben Christen seit nahezu 1400 Jahren eng mit Muslimen zusammen, auf dem Balkan seit über 500 Jahren. Auf der Iberischen Halbinsel war dies 700 Jahre hindurch der Fall. Für Christen in Mitteleuropa ist das Zusammenleben mit Muslimen dagegen eine überwiegend neue Erfahrung. Wenn unsere Situation in Europa bedacht wird, kann dies nicht geschehen, ohne die Erfahrungen unserer Mitchristen im Orient zu berücksichtigen.

  1. Als Christen können wir in jeder Gesellschaft leben. Wir wissen, dass keine Gesellschaft vollkommen gerecht ist und jede Gesellschaft die Merkmale der „gefallenen Schöpfung“ trägt. Wir wissen, dass wir „hier keine bleibende Stadt“ haben (Hebräer-Brief 13,14), sondern unterwegs zum „besseren Vaterland“ (ebd. 11,16) sind. Wir bitten um das „Kommen des Reiches Gottes“.

  2. Als Christen beten wir für das Wohlergehen und friedliche Zusammenleben aller Bürger und um die Freiheit, das Evangelium zu verkündigen. Wir wissen, dass das Leben in totalitären Gesellschaften mit vielen Einschränkungen – bis hin zum Martyrium – verbunden sein kann. Wir schätzen deshalb eine freiheitliche Demokratie, auch wenn wir unter solchen Mehrheitsentscheidungen leiden, die den Geboten Gottes widersprechen. Sofern wir in einer Demokratie leben, werden wir unsere Chancen zur Mitgestaltung des öffentlichen Lebens nutzen, um den Geboten Gottes in der Öffentlichkeit Raum zu gewähren.

  3. Als Christen wissen wir, dass auch in einer freiheitlichen Demokratie die Religionsfreiheit nicht grenzenlos ist. Wir respektieren es, dass der Demonstration des Glaubens in der Öffentlichkeit Grenzen gesetzt sind und die öffentliche Kritik an anderen Glaubensweisen nicht diffamierend sein darf. Wir sind dankbar dafür, dass in unserer Gesellschaft niemand von Seiten der Behörden diskriminiert wird, wenn er Christ wird oder sich einer anderen Religionsgemeinschaft seiner Wahl anschließt.
    Als Christen sind wir damit einverstanden, dass andere religiöse Gemeinschaften die gleichen Freiheiten und Rechte genießen wie wir selbst. Wir können aber nicht zustimmen, wenn religiöse Gruppen für sich weitergehende Sonderrechte beanspruchen, die sie mit ihren religiösen Traditionen begründen. Wir können auch nicht schweigen, wenn religiöse Gruppen mit totalitären Tendenzen langfristig das Ziel haben, die freiheitliche Ordnung unserer Gesellschaft zu untergraben.
    Als Christen respektieren wir es, dass muslimische Gruppen das Recht haben, sich zu Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen in dafür geeigneten Räumlichkeiten zu versammeln. Wir respektieren die Werbung der Muslime für ihren Glauben. Wir respektieren es, wenn Menschen unserer Gesellschaft zum Islam übertreten.

  4. Als Christen nehmen wir wahr, dass es innerhalb des Islam recht unterschiedliche Richtungen gibt. Wir wissen um solche Gruppen, denen es vornehmlich nicht um politische, sondern um religiöse Anliegen geht. Wir anerkennen, dass es Muslime gibt, die unsere Gesellschaft nicht gewaltsam verändern wollen, sondern dem Wirken Gottes in der Geschichte der Völker vertrauen. Wir wissen aber auch, dass im Islam eine Trennung zwischen religiösen und politischen Anliegen letztlich nicht möglich ist und dass Muslime von ihrem Glauben dazu aufgerufen werden, ihre jeweiligen Gesellschaften im Sinne des Islam zu beeinflussen und zu verändern.
    Als Christen beobachten wir, dass in vielen Ländern der islamischen Welt ein zähes Ringen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Konzepten im Gang ist. Viele Muslime sind der Auffassung, dass „Demokratie“ (Herrschaft des Volkes) im westlichen Verständnis und Islam im Sinne der Unterwerfung aller Lebensbereiche unter eine göttliche Ordnung letztlich nicht vereinbar sind. Wir haben den Eindruck, dass auch in unserer Gesellschaft das Ringen um mehr Einfluss für den Islam im Gang ist.

  5. Als Christen sehen wir ein Problem darin, dass der Islam von seinen Ursprüngen her eine Religion ist, die auf Demonstration in der Öffentlichkeit aus ist. Denn schon zu Lebzeiten Muhammeds entwickelte sich der Islam zu einer die Gesellschaft dominierenden Volks- und Staatsreligion. Der repräsentative Bau von Moscheen, die Höhe von Minaretten, der Gebetsruf per Lautsprecher und das Tragen einer spezifischen Kleidung sind für Muslime keine Nebensächlichkeiten. Wir stellen fest, dass es derzeit in der deutschen Öffentlichkeit und auch unter Christen umstritten ist, wo die zumutbaren Grenzen solcher Demonstration liegen.

  6. Ein anderes Problem sehen wir als Christen darin, dass im Koran als der wesentlichen Urkunde des Islam die Kritik am christlichen Glauben festgeschrieben ist. In diesem Licht muss die öffentliche Werbung für den Islam gesehen werden. Der öffentliche Gebetsruf z.B. beinhaltet u. E. eine indirekte Kritik am christlichen Gottes-Glauben (Dreifaltigkeit Gottes) und am christlichen Jesus-Glauben (Jesus als abschließender Offenbarer und Heilsbringer). Uns erscheint die Frage als offen, ob Muslime in der Lage sind, z.B. in einem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen den christlichen Glauben sachlich und fair darzustellen.

  7. Ein Problem für das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen in unserem Land sehen wir darin, dass die Muslime überwiegend Zuwanderer oder deren Nachfahren sind, während die Angehörigen der christlichen Kirchen überwiegend zu den Alteingesessenen gehören. Dadurch geschieht es leicht, dass die Bedenken gegen den Zuzug von Ausländern auf die Muslime übertragen werden. Weil Jesus Christus uns Liebe geboten hat, treten wir jeder Form von Ausländerfeindlichkeit in Wort und Tat entschieden entgegen.

  8. Hinsichtlich unserer muslimischen Mitbürger ist es für uns als Christen selbstverständlich, dass wir uns um ein friedliches Zusammenleben bemühen. Nur in dieser Haltung können – und sollen – wir ihnen das Evangelium von der Liebe Gottes bezeugen. Wir unterscheiden von diesem Bemühen die besorgte Wahrnehmung der langfristigen Gefährdung unserer freiheitlichen Ordnung. Deshalb erfordert unser Umgang mit Muslimen einerseits Verstehen und Freundlichkeit, andererseits Selbstbewusstsein und Bestimmtheit im Setzen von Grenzen. Wir sehen deshalb in unserer Begegnung mit Muslimen eine große menschliche und geistliche Herausforderung, in der wir uns nur betend und im Hören auf das Wort Gottes bewähren können.

Literaturhinweise
  • Johan Bouman, Leben mit fremden Nachbarn, Die Rolle von Ethik, Kultur und Religion in einer multikulturellen Gesellschaft, Brunnen-V. Giessen 1995

  • Eberhard Troeger, Der Islam bei uns. Ängste und Erwartungen zwischen Christen und Muslimen, Giessen, Basel 2007

  • Christlicher Glaube und Islam, Erklärung der Deutschen Evangelischen Allianz, Stuttgart 2002

Autor dieser Ausgabe: Eberhard Troeger