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Modelle des Umgangs mit dem Koran im Gespräch

Wenn man als Christ im Gespräch mit Muslimen ist, taucht immer wieder die Frage auf, ob man auf den Koran eingehen soll. Entscheidet man sich dafür, dann ist das in der Tat nicht so einfach.

Der Koran ist sowohl in seinem arabischen Original als auch in seinen Übersetzungen schwer zu lesen und noch schwerer zu verstehen. Die Gründe dafür sind vielfältig. „Koran“ (arab. qur’ân) heißt so viel wie „Rezitation“. Sein Inhalt war zunächst für den mündlichen Vortrag, vermutlich in einer religiösen Versammlung, bestimmt. Deshalb ist er in Reimprosa verfasst. Seine frühen Texte sind eher als Dichtung zu bezeichnen, seine späten Texte eher als Prosa. Alle Aussagen aber sind recht vage gehalten und enthalten zahlreiche knappe Andeutungen, die der Auslegung weiten Spielraum lassen. Der Koran enthält Lehnwörter aus dem Aramäischen. Deshalb musste sich der Verkündiger des Korans gegen den Vorwurf wehren, aus fremden Quellen zu schöpfen. Er unterstreicht, dass der Koran in „reinem Arabisch“ verfasst ist (z. B. Sure 16,103). Da der Korantext erst im Laufe der Zeit vollständig vokalisiert wurde, ließen sich ursprünglich aramäische Wörter „arabisieren“. In der Auslegungsgeschichte führte das zu manchen gewaltsamen Deutungen. Der Koran hat weder eine inhaltliche noch eine chronologische Ordnung. Die Gründe dafür sind unklar. Die Entstehungsgeschichte des Korans liegt weithin im Dunkeln. Hinter vielen Aussagen werden schattenhaft die Umrisse einer Person deutlich, obwohl diese nie mit Namen genannt wird. Es ist von den inneren und äußeren Kämpfen dieser Person die Rede. Nach der muslimischen Tradition ist damit Muhammad gemeint. Er gilt als prophetischer „Empfänger“ des Korans, der ihn an seine Nachfolger weitergab. Die Biographie Muhammads (arab. sîra), wie sie im Islam tradiert wird, ist der wesentliche Schlüssel zum Verstehen des Korans. Koran und Sîra sind aufeinander bezogen: Der Koran prägt die Sîra, und die Sîra legt den Koran aus. Wer den Koran verstehen will, muss sich mit den klassischen Muhammad-Biographien beschäftigen. Von muslimischen Gelehrten wird für jeden Korantext ein Anlass im Leben Muhammads gesucht (sogen. „Grund für die Offenbarung“).

Muslime haben am Koran ein kultisches und theologisches und besonders auch ein rechtliches Interesse. Sie wollen wissen, was der Koran im Blick auf das Leben des einzelnen Muslims, hinsichtlich des Zusammenlebens in der muslimischen Weltgemeinschaft (arab. umma) und im Blick auf den Umgang mit Nichtmuslimen festlegt. Der Koran macht in seinen frühen (ca. 610-622 n. Chr.) und in seinen späten Texten (622-632 n. Chr.) dazu voneinander abweichende Aussagen. Darum haben die muslimischen Juristen den Grundsatz eingeführt, dass die späteren rechtlichen Bestimmungen die früheren in ihrer Geltung „aufheben“. Wer mit Korantexten argumentieren will, muss deshalb fragen, ob diese überhaupt noch gültig sind oder nicht durch andere koranische Aussagen ersetzt wurden. Aus dem Gesagten folgt, dass Christen, die sich im Gespräch mit Muslimen auf den Koran beziehen, sich vorher kundig machen sollten, wie Muslime diese spezielle Textstelle verstehen und welche unterschiedlichen Deutungen es unter Muslimen gibt. Ein gründliches Studium des Korans und der Sîra sind dabei eine wesentliche Hilfe.

1. Die Breite des muslimischen Koranverständnisses

Ganz grob lassen sich drei Hauptstränge unterscheiden, die aber in sich wieder sehr vielschichtig sind. Den ersten Strang kann man als die „wörtliche Auslegung“ bezeichnen. Sie wurde und wird keineswegs nur von schlichten Muslimen vertreten, sondern auch von gut geschulten Gelehrten. Sie lehnen eine Benutzung des menschlichen Verstandes keineswegs ab, wollen ihn aber nur einsetzen, um die innere Stimmigkeit des Korans zu beweisen. Sie wollen an das ewige und göttliche Buch keine zeitbedingten, menschlich-philosophischen Maßstäbe anlegen. Sie verwerfen jegliche Kritik am Korantext und auch jede bildhafte Deutung der anthropomorphen („vermenschlichenden“) Bezeichnungen Allahs.

Wenn Allah z. B. nach Sure 2,255 „auf einem Thron sitzt“, dann sitzt er wirklich auf einem Thron, der allerdings jede menschliche Vorstellung übersteigt. Es handelt sich um einen Thron „ohne wie“. Diese Art der Auslegung ist heute bei muslimischen Fundamentalisten sehr verbreitet, sowohl bei theologischen Laien wie auch bei theologisch Versierten. Den breiten und in sich sehr vielfältigen Strom der klassischen muslimischen Koran-Auslegung kann man „reflektierend“ nennen. Man durchdenkt den Koran mit Hilfe des Verstandes und scheut sich nicht, philosophische Traditionen heranzuziehen. Die anthropomorphen Ausdrücke werden „übertragen“ verstanden. Die Aussage, dass Allah „auf einem Thron sitzt“, wird zu einer Umschreibung seiner Herrschaft. Die klassische Koranauslegung zeigt Ansätze für ein geschichtliches Denken, indem sie jede Koranaussage in einer Episode des Lebens Muhammads verankert. Sie ist aber von einer modernen historischen Forschung weit entfernt. Die rationalisierende Deutung des Korans wird vor allem in der klassischen Theologen-und Juristenausbildung gepflegt. Allerdings gibt es immer auch Schnittmengen mit der „wörtlichen Auslegung“. Schließlich gab es im Islam schon sehr früh eine „vergeistigende Deutung“ des Korans unter dem Einfluss der klassischen griechischen Philosophie. Die als „Philosophen“ kritisierten muslimischen Denker des Mittelalters entkleideten den Koran seines geschichtlichen Gewandes und vergeistigten ihn – wir würden heute von Entmythologisierung sprechen. Die Botschaft des Korans wurde zu einer zeitlosen Ethik. Diese Koran-Deutung wurde im Hochmittelalter von der Orthodoxie verdrängt, erlebt aber heute unter dem Einfluss der westlichen Aufklärung eine Neubelebung. Liberale Muslime, die von westlicher Philosophie beeinflusst worden sind (z.B. von Hans-Georg Gadamer, 1900-2002), können den Koran heute in ähnlicher Weise verstehen. Die kurze Übersicht macht deutlich, dass der Koran auch innerhalb des Islam ein weites Feld der Interpretation öffnet. Christen, die sich in ihren Gesprächen auf den Koran berufen wollen, sollten herausfinden, welches Verständnis sie bei ihren Hörern voraussetzen können. Sie werden sich aber auch mit dem im Westen üblichen kritischen Verständnis des Korans beschäftigen müssen.

2. Das westliche, historisch- kritische Koranverständnis

Die kritische Islamwissenschaft will herausfinden, wie der Koran entstanden sein könnte und welche Einflüsse aus Muhammads religiöser Umwelt eine Rolle spielten. Manche gehen sogar so weit, dass sie hinterfragen, ob „Muhammad“ überhaupt eine historische Gestalt war oder lediglich eine mythische Figur, die auf Grund der Tradition entstanden ist. Demnach wäre die „Offenbarung des Korans an Muhammad“ so etwas wie der Gründungsmythos für den politisch-religiösen Aufbruch der Araber im 7. bis 9. Jahrhundert n. Chr. Die Mehrzahl der kritischen Islamwissenschaftler hält aber bis heute daran fest, dass Muhammad (ca. 570-632 n. Chr.) der Verkündiger des Korans und der Initiator der muslimischen Bewegung war. Viele Islamwissenschaftler beschäftigen sich vor allem philologisch mit dem Text des Korans, mit den Auslegungen zum Koran und mit den Überlieferungen über Muhammad. Sie prüfen sprachliche Abhängigkeiten, z. B. vom Aramäischen, und inhaltliche Verwandtschaften, z. B. mit dem jüdischen Talmud. Schließlich interessieren sich Islamwissenschaftler für die Gebote des Korans, ihre Abhängigkeiten vom arabischen oder jüdischen Recht und ihre Weiterentwicklung in der muslimischen Rechtsgelehrsamkeit. Die Islamwissenschaft kann bei aller Vorläufigkeit ihrer Thesen Christen im Gespräch mit Muslimen helfen, den Koran differenziert zu sehen. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Koran-Verständnisse wahrzunehmen.

3. Verschiedene Sichtweisen über den Koran unter Christen

Im Blick auf den Koran lassen sich die folgenden Positionen aus der Sicht von Christen vereinfacht und stark schematisiert unterscheiden. Dabei gibt es durchaus Schnittmengen und fließende Übergänge. Die zuerst und zuletzt genannten Positionen schließen sich gegenseitig aus.

3.1 Der Koran als ein antibiblisches Buch

Nach dieser Sicht spiegeln die Vorstellungen des Korans über die Geschichte, über Gott und andere wichtige Themen ein Bild wider, das der Bibel widerspricht. Im Koran werden Mose und Jesus zu überholten Vorläufern Muhammads degradiert. Dadurch lehrt der Koran einen anderen Christus. Juden und Christen werden verflucht. Christen werden verdammt, weil sie sich zu Jesus als Sohn Gottes bekennen (vgl. Sure 9, 30). Der Koran kann daher nicht göttlichen Ursprungs sein. Diese Christen berufen sich auf 1. Johannes 4,3: „Jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott…“

3.2 Der Inhalt des Korans als Irrlehre

Die Lehren des Korans werden als ein Frontalangriff auf Gott, wie ihn die Bibel bezeugt, verstanden. Aus dem treuen Bundesgott Israels wird Allah als ein willkürlich handelnder Herrscher. Aus dem barmherzigen Gott wird ein großzügiger Allah, dessen Schenken ihn nichts kostet. Aus der Erwartung des Reiches Gottes im Kommen des Messias wird ein irdisches Reich unter den Geboten Allahs. Aus dem dreifaltigen Gott wird Allah als eine logisch begrenzte „Einsheit“.

3.3 Die Verkündigung des Korans als defizitär und Rückschritt in überholtes Denken

Die Gesetzlichkeit der koranischen Verkündigung erscheint als Rückschritt in das pharisäische Judentum. Dem Koran fehlt die Verkündigung des Heils in der Erlösung durch Jesus Christus und die Gewissheit der Erlösung. Er kennt keine personale Vater-Kind-Beziehung, wie Jesus sie gelehrt und ermöglicht hat. Dem Koran fehlt der Glaube an den Messias Jesus, die Erwartung seiner Wiederkunft als Richter aller Menschen und die Erwartung seines Friedensreiches auf der Erde.

3.4 Der Inhalt des Korans als Mischung unterschiedlichster Aussagen

Manche koranischen Aussagen werden als biblisch richtig verstanden. Andere klingen neutral, und viele erscheinen im direkten Widerspruch zur Bibel als dämonischen Ursprungs. Dieses „tripolare“ Verständnis eröffnet eine Benutzung der neutralen und biblisch klingenden Koranaussagen. Es ist aber nicht einfach, die einzelnen Koranaussagen diesen drei Kategorien zuzuordnen.

3.5 Die Verkündigung des Korans als Ausdruck menschlicher Suche nach Wahrheit

Manche Christen wollen den Koran trotz aller Ungereimtheiten als Ausdruck menschlicher Suche nach Wahrheit sehen und begegnen ihm deshalb respekt- und verständnisvoll. Sie fordern Verständnis für den Koran und weisen auf Ungereimtheiten in der Bibel hin. Dabei tendieren sie zur Beschönigung des Korans und zur Nivellierung zwischen Bibel und Koran.

3.6 Der Koran als Offenbarung Gottes

Manche gehen noch einen Schritt weiter und anerkennen den Koran als Offenbarung Gottes. Damit relativieren sie die biblische Offenbarung als eine unter vielen. Für sie gibt es viele Wege Gottes zum Menschen und viele Wege des Menschen zu Gott. Exklusivitätsansprüche gelten als überheblich und gefährlich.

3.7 Der Koran als eine religiöse Tradition unter vielen

Bei dieser Position gelten alle religiösen Bücher ausschließlich als menschliche Traditionen. Wert für die Gegenwart haben sie nur, indem sie ihrer geschichtlichen Gestalt „entkleidet“ (entmythologisiert) und vergeistigt werden. Religion wird zu einer Anleitung für ein zufriedenes Leben und ein friedvolles Zusammenleben.

Es ist verständlich, dass die beiden letzten Verstehensweisen für die Frage nach einer Verwendung des Korans im missionarischen Gespräch mit Muslimen ausscheiden, weil ihre Vertreter jede Einladung zum Glauben an Jesus Christus ablehnen. Aus den fünf ersten Verstehensweisen ergeben sich dagegen unterschiedliche Modelle für das Gespräch mit Muslimen.

4. Modelle für den Umgang mit dem Koran im Gespräch mit Muslimen

Die folgenden Modelle sind sehr vereinfacht dargestellt. Es gibt zwischen ihnen fließenden Übergänge und Schnittmengen.

4.1 Den Koran vermeiden

Diese christlichen Gesprächspartner sehen einen dämonischen Hintergrund des Korans und möchten deshalb mit ihm nichts zu tun haben. Sie werden ihn vielleicht nicht einmal in die Hand nehmen wollen, geschweige denn lesen, studieren oder gar zitieren. Sie verzichten sowohl auf eine anerkennende als auch auf eine kritische oder polemische Bezugnahme auf den Koran. Sie unterlassen jede Kontextualisierung des Evangeliums in einen koranischen Verstehenshorizont hinein und vertrauen bei ihrer Verkündigung allein auf das Wirken des Heiligen Geistes.

4.2 Den Koran zur Kenntnis nehmen

Diese christlichen Gesprächspartner kennen den Koran und studieren ihn. Wenn Korantexte von ihren Hörern zitiert werden, verstehen sie das Zitierte, gehen aber nicht darauf ein. Sie wollen lediglich wissen, von welchen koranischen Inhalten ihre Zuhörer besonders geprägt werden, um in der Verkündigung darauf indirekt eingehen zu können. Besonders interessieren sie Schlüsselwörter, z. B. „Erlösung“. Da im Koran Erlösung darin besteht, eine Unterlassung oder Verfehlung durch ein gutes Werk „auszulösen“, können die christlichen Gesprächspartner betonen, dass im Evangelium Gott den Sünder durch Jesus „auslöst“. Sie betreiben eine behutsame Kontextualisierung, vermeiden aber das Zitieren des Korans, um ihn nicht aufzuwerten. Dieses Modell empfiehlt sich vor allem für Christen, die Arabisch nicht als Muttersprache sprechen.

4.3 Auf den Koran eingehen

Die christlichen Gesprächspartner bemühen sich um ein gutes Verständnis des Korans, besonders der verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten. Wenn ihre Hörer Koranpassagen zitieren, knüpfen sie entweder behutsam daran an oder fragen, ob diese Aussage stimmen kann. Im ersten Fall leitet sie vor allem ein seelsorgerliches Interesse. Im zweiten Fall möchten sie mehr die Wahrheit der biblischen Botschaft unterstreichen und den Hörer zum Nachdenken über seine eigene Sichtweise veranlassen. Die christlichen Gesprächspartner kontextualisieren bewusst. Ein Beispiel ist das Stichwort „verloren, irrend“, mit dem die erste Sure endet („führe uns den geraden Weg, nicht den Weg der Irrenden“). Diese Sure ist vielen Muslimen weltweit geläufig. Die christlichen Gesprächspartner können fragen, ob wir Menschen nicht alle Irrende und Verlorene sind und ob wir deshalb nicht jemanden benötigen, der das Verlorene sucht und findet. Beim Eingehen auf den Koran ist es sinnvoll, muslimische Gesprächspartner zu bitten, den Korantext in der von ihnen benutzten Sprache vorzulesen bzw. aus dem Arabischen zu übersetzen. Üblicherweise sollte der für Muslime heilige Text nicht in „gebrochenem“ Arabisch zitiert werden. In manchen Sprachgruppen (z. B. im Indonesischen) verwenden Muslime den Koran in ihrer Landessprache, obwohl solche Übersetzungen streng genommen nur Übertragungen sind.

4.4 Den Koran bewusst in das Gespräch mit einbeziehen.

Die christlichen Gesprächspartner benutzen Bibel und Koran in gleicher Weise, um das Evangelium in den koranischen Verstehenshorizont hinein zu dolmetschen. Sie zitieren Koranverse, die entweder biblisch klingen, neutral erscheinen oder von ihnen mit einem biblischen Inhalt gefüllt werden können. Bei diesem Modell tauchen drei Probleme auf: Erstens werden muslimische Hörer das Evangelium nicht im biblischen, sondern im muslimischen Sinne verstehen. Zweitens kann beim Hörer der Eindruck entstehen, dass die Christen Bibel und Koran nur scheinbar auf eine Ebene stellen, also nicht ganz ehrlich sind. Drittens mögen sie zu dem Schluss kommen, dass die Christen auf dem besten Weg sind, Muslime zu werden, wenn sie für ehrlich gehalten werden. Ein viel verwendetes Beispiel ist Sure 4,171, wo es im Koran heißt, dass Jesus „Wort Allahs und Geist von ihm“ ist. Diese biblisch klingenden Ausdrücke werden im Islam meist so verstanden, dass Jesus durch ein schöpferisches Wort Allahs oder durch den göttlichen Lebensodem in Maria erschaffen wurde. Es ist schwer, diese Auffassung zu korrigieren und zu erklären, dass Jesus selbst das schöpferische Wort Gottes und der schöpferische Geist Gottes in Person ist.

4.5 Den Koran zum Ausgangspunkt des Gesprächs nehmen

Bei diesem Ansatz wird dem Koran ein hohes Maß an Autorität zugesprochen. Die christlichen Gesprächspartner wollen bei ihrem muslimischen Gegenüber den Eindruck erwecken, dass sie den Koran als heiliges Buch akzeptieren bzw. möglicherweise sogar selber Muslime seien. Dabei versuchen sie, den Koran biblisch zu interpretieren. Dieser Versuch wird von Muslimen jedoch schnell als Täuschung verstanden und abgelehnt werden.

Ein Beispiel für solch einen Ansatz ist die koranische Bezeichnung von Jesus als „Knecht Allahs“ (z. B. 43,59). Damit wird im Koran der Abstand zu Gott betont: Jesus gehört eindeutig auf die menschliche Seite. Der christliche Verkündiger mag versuchen, über die biblischen Gottesknechtslieder (Jesaja-Buch) eine Brücke zum Evangelium zu schlagen und Jesus als den einen auserwählten Knecht Gottes zu bezeugen, der Menschen das ewige Heil bringt. Die Frage ist nur, ob der muslimische Hörer diese christliche Neuinterpretation versteht und annehmen kann. Vermutlich wird er diese Erklärung islamisch einordnen und weiterhin Jesus so verstehen, dass er von Allah auserwählt wurde, Empfänger des Evangeliums zu werden, um Menschen den „geraden“ (= muslimischen) „Weg“ zum Heil zu verkündigen.

5. Was auf jeden Fall bedacht werden sollte

Bibel und Koran sind sehr unterschiedliche Bücher und sollten in dieser Unterschiedlichkeit ernst genommen werden. Es ist theologisch nicht legitim, den Koran im biblischen Sinne umzudeuten, so wie Christen es auch nicht akzeptieren können, dass Muslime die Bibel im Sinne des Korans umdeuten. Es ist auch nicht fair, die religiöse Urkunde eines anderen Glaubens für die eigene Verkündigung zu instrumentalisieren. Muslime tun dies zwar sehr ausgiebig, aber Christen können diese Methode nicht kritisieren, wenn sie sie selber anwenden. Ein „Messen mit zweierlei Maß“ wäre auf jeden Fall unehrlich. Koranaussagen, die scheinbar biblisch oder neutral klingen, müssen im Gesamtkontext des Korans verstanden werden. Sie tragen immer die Vorzeichen „Allah“ und „Muhammad“. Ebenso müssen biblische Aussagen, die scheinbar eine Ähnlichkeit mit koranischen Aussagen haben, im biblischen Gesamtzusammenhang verstanden werden. Sie tragen immer das Vorzeichen „Gott Israels“ und „Vater von Jesus Christus“. Wenn Christen den Koran zitieren oder gar auf Arabisch rezitieren, werden sie sich fragen müssen, ob sie dadurch entweder die Gefühle von Muslimen verletzen oder den Koran als „Wort Gottes“ aufwerten bzw. anerkennen. Im Zweifelsfall ist es besser, in dieser Sache zurückhaltend zu sein. Christen respektieren, dass der Koran für Muslime ein göttliches Buch ist. Sie sollten deshalb dieses Buch trotz aller Vorbehalte nicht herabsetzen oder gar schmähen. Sie dürfen aber darauf hinweisen, dass sie mit manchen Aussagen Probleme haben, z. B. wenn es um Gewalt geht. Umgekehrt geht der Respekt aber zu weit, wenn sich Christen die Hände waschen, bevor sie den Koran in die Hand nehmen, oder ihn gar küssen. Solche symbolischen Handlungen nähren auf jeden Fall den Verdacht, dass die so handelnden Christen dem Inhalt des Korans zustimmen.

Christen können auf eine apologetische Auseinandersetzung mit dem Koran nicht verzichten. Bei aller unterschiedlichen Beurteilung des Korans im Einzelnen lässt sich nicht leugnen, dass er eine Botschaft verkündigt, die der biblischen Heilsgeschichte widerspricht und das Zentrum des Evangeliums, die „teure Gnade“ Gottes im Sühnopfer von Jesus Christus, leugnet. Insofern ist der Koran nicht nur ein nachchristliches, sondern ein zutiefst antibiblisches Buch. Freilich kommt es bei der apologetischen Auseinandersetzung darauf an, in welchem Rahmen, mit welchen Methoden und mit welchen Menschen sie praktiziert wird. Apologetik hat ihre deutlichen Grenzen. Es bleibt immer der erste Auftrag von Christen, in der Begegnung mit Muslimen die biblische Botschaft verständlich, liebevoll und vollmächtig zu bezeugen.

Der Text basiert auf einem Vortrag von Eberhard Troeger, gehalten am 1.12.2010 bei der Konsultation des AK Islam in Wetzlar und wurde für diese Veröffentlichung überarbeitet.

Literaturhinweise
  • Christine Schirrmacher, Islam und christlicher Glaube. Ein Vergleich, Holzgerlingen 2006
  • Eberhard Troeger, Der Islam bei uns. Ängste und Erwartungen zwischen Christen und Muslimen, Giessen/Basel 2007