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Muslimischer Gebetsruf per Lautsprecher?

  1. Das muslimische Pflichtgebet (Salât) hat wenig mit dem christlichen Verständnis vom Gebet gemeinsam. Es ist vielmehr eine – möglichst öffentliche – Demonstration der Unterwerfung unter Allah und seinen Willen. Die Betenden sind nach traditionellem Verständnis immer auch eine politische Gemeinschaft. Deshalb enthält die Predigt anlässlich des Hauptgebetes am Freitag häufig Stellungnahmen und Aufrufe zu gesellschaftspolitischen Fragen.

  2. Der Aufruf (Adhân) zum Pflichtgebet gehört nach allgemeiner muslimischer Auffassung zum Gottesdienst hinzu. In der modernen Welt ist es aber letztlich nicht mehr sinnvoll, den Gebetsruf außerhalb der Moschee ertönen zu lassen. Denn normalerweise trägt jeder Mensch eine Uhr, und die muslimischen Gebetszeiten liegen zeitlich fest. Für konservative Muslime ist der Gebetsruf aber mehr als nur die Einladung zum Gebet. Er ist ein öffentliches Bekenntnis zum Islam und zu seiner Überlegenheit. Da das Gebet eine gesellschaftliche Dimension hat, gilt dies auch für den Ruf zum Gebet.

  3. Dies wird am Inhalt des islamischen Gebetsrufes deutlich: Er beginnt mit einem mehrmaligen „Allahu Akbar“, d.h. „Allah ist der Größte“. Damit wird der Anspruch Allahs über die Gesellschaft betont: Die (in diesem Fall: deutsche) Gesellschaft soll sich den Geboten Allahs unterordnen! Das wird durch das im Gebetsruf zitierte Glaubensbekenntnis unterstrichen: „Es gibt keine Gottheit außer Allah, und Muhammed ist der Gesandte Allahs“.
    Der Gebetsruf muss auf Arabisch gerufen werden, weshalb ihn Deutsche normalerweise nicht verstehen können und ihn möglicherweise als „exotisch und interessant“ empfinden mögen. Er ist aber ein öffentliches Bekenntnis zu Allah und bekundet damit einen Machtanspruch auf Durchsetzung des Willens Allahs in der Gesellschaft. Der Gebetsruf ist keineswegs rein religiös zu verstehen. Er hat vielmehr eine politische Komponente.

  4. Der Gebetsruf kritisiert indirekt – für Muslime aber sehr bewusst – den christlichen Glauben an die Dreieinigkeit Gottes und an die Gottessohnschaft Jesu Christi. Das „Es gibt keine Gottheit außer Allah“ ist eine öffentliche Kritik am christlichen Bekenntnis zur Dreieinigkeit Gottes. Das Ausrufen Muhammeds als eines Gesandten Allahs, der nach Jesus Christus lebte, degradiert Jesus Christus öffentlich zu einem „Gesandten unter vielen“ und Vorläufer Muhammeds. Es leugnet ihn als den endzeitlichen Christus und Erlöser, wie er von Christen bekannt wird. Der islamische Gebetsruf ist deshalb ein öffentlicher Affront gegen glaubende Christen.

  5.  Man kann dagegen einwenden, dass in einer multireligiösen Gesellschaft jeder Bürger die öffentliche Demonstration einer anderen Glaubensweise dulden muss. Dem sind jedoch Grenzen gesetzt, wie das „Kruzifix-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichtes deutlich gemacht hat.
    Der säkulare Staat beruht grundsätzlich auf der Trennung von staatlicher Ordnung und religiösen Überzeugungen. Zwar hat der Staat die Aufgabe, die Ausübung der Religion in einem dafür bestimmten Rahmen zu garantieren, aber sobald Religionen öffentliche Macht beanspruchen und öffentlich lautstark den Glauben anderer Bürger in Frage stellen, wird es problematisch, weil damit die Freiheit der Anhänger anderer Glaubensweisen berührt wird.

  6. Zwischen der Darstellung des christlichen und des muslimischen Glaubens in der Öffentlichkeit ist ein wesentlicher Unterschied. Wenn Christen in einer genehmigten Demonstration auf Plakaten bekennen, dass „Jesus der Herr ist“, so ist damit kein politischer Herrschaftsanspruch verbunden. Auch die christlichen Symbole, wie z.B. das Kreuz, beinhalten keinen öffentlichen Anspruch. Das Glockenläuten hat nicht einmal eine inhaltliche Aussage, sondern erinnert an Gott und lädt zum Gottesdienst ein. Der islamische Gottesdienst und die Einladung zu ihm beinhalten dagegen – jedenfalls im herkömmlichen islamischen Verständnis – immer einen Anspruch auf Veränderung der öffentlichen Ordnung.

  7. Das Ausrufen des Gebetsrufes durch Lautsprecher ist eine moderne Sitte, die erst durch die neuzeitliche Technik möglich geworden ist. Sie ist auch in mehrheitlich islamischen Ländern nicht sehr sinnvoll, abgesehen vielleicht von ländlichen Gebieten, in denen der Bauer auf dem Feld keine Uhr trägt. Das Ausrufen per Lautsprecher ist letztlich eine öffentliche Demonstration des islamischen Glaubens und gehört zur islamischen Verkündigung, dem sogenannten „Ruf zum Islam“ (Da‘wa) und damit in die islamische Ordnung.
      
  8. Der muslimische Aufruf zum Gebet per Lautsprecher ist für einen islamischen Gottesdienst eindeutig nicht konstitutiv und sollte deshalb keine staatliche Unterstützung finden. Er ist eindeutig ein Mittel islamischer Propaganda, das – bei aller Toleranz – den Rahmen des Zumutbaren sprengt. In einer deutschen Stadt, in der Muslime eine Minderheit sind und es nur einige verstreute Moscheen gibt, ist es nicht sinnvoll, per Lautsprecher zum Gebet aufzurufen, da doch nicht alle Muslime es hören könnten. Auch das Glockenläuten dient heute letztlich nicht mehr seinem ursprünglichen Sinn, da alle Menschen eine Uhr haben und wissen, wann sie zum Gottesdienst zu gehen haben. Wohl nur noch ganz wenige Menschen lassen sich durch die Glocken zu einem persönlichen Gebet rufen. Sirenen haben die Glocken auch als Signale im Falle von Gefahren (Brand usw.) abgelöst. Das Glockenläuten ist ein Restbestand der christlichen Kultur. Angesichts der zunehmenden Zurückdrängung dieser Sitte ist es nicht sinnvoll, eine neue Lärmbelästigung in Form von Gebetsruf per Lautsprecher einzuführen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass praktisch alle neueren christlichen Gemeinden auf Glocken verzichten.
     
  9. Nach konservativer muslimischer Auffassung sollen Christen in islamischen Ländern nicht öffentlich durch Glocken zu ihren Gottesdiensten einladen dürfen oder neue Kirchen bauen. Im Laufe der Geschichte ist das Glockenläuten auch in Ländern, die einstmals ganz christlich waren (wie z.B. Ägypten) von den Regierenden über weite Strecken verboten worden. Erst unter dem Einfluss neuzeitlichen Denkens erlangten die Christen wieder mehr Freiheiten, die heute aber Schritt für Schritt eingeschränkt werden. In Saudi-Arabien ist es sogar streng verboten, christliche Gebetsräume einzurichten. Diese Situation ist zwar kein Grund, im Gegenzug auch Muslimen in Deutschland die Ausübung ihres Glaubens zu verweigern, aber die Rede von der „islamischen Toleranz“ erscheint auf diesem Hintergrund in einem anderen Licht. Auch die Aussage, dass Muslime in Deutschland Glaube und Politik trennen würden, ist nicht glaubhaft. Dies mag für viele fromme Muslime gelten, aber nicht für den Islam an sich, in dem Glaube und öffentliche Ordnung grundsätzlich zusammengehören.

Autor dieser Ausgabe: Eberhard Troeger
Stand: Januar 2007